Missbrauch
von Tieren – ein Tabu breitet sich aus
Ein
Interview mit Gabriele Frey, Projektleiterin von
"Verschwiegenes Tierleid" in Saarbrücken
(tol).
Stuttgarter Polizeibeamte hatten in der Nacht zum vergangenen Dienstag
(30. März) auf dem Zoo-Gelände der Wilhelma einen mutmaßlichen
Tierschänder vorläufig festgenommen (wir
berichteten). Der 35-jährige Mann soll sich wiederholt
an einer Kuh und einem Schwein vergangen haben. Die Polizei hatte
ihn jetzt auf frischer Tat ertappt. Sex mit Tieren? Wir sprachen
mit Gabriele Frey über das Tabuthema. Sie ist beim Verein "Menschen
für Tierrechte - Tierversuchsgegner Saar e.V." als Projektleiterin
für "Verschwiegenes Tierleid" zuständig.
Sexueller
Missbrauch von Tieren ist nicht strafbar, die
Verletzung von Tieren aber schon...
...
Ja, das ist durch die historische Entwicklung
des Tierschutzes und durch die Rechtsauffassung
in den 60er Jahren erklärbar. Das Tier
galt als "Sache". Eine Sachbeschädigung
setzt jedoch eine Beschädigung oder Zerstörung
der fremden Sache voraus - nicht der eigenen.
Sexuelle Handlungen mit fremden Sachen sind
erlaubt, vorausgesetzt, die Sache wird nicht
beschädigt oder zerstört. Der damalige
Gesetzgeber hoffte - trotz seines Wissens um
die faktisch gegebene Schutzlosigkeit des Tieres
vor sexuellem Missbrauch - auf nur geringe Täterzahlen...
...
hat sich die Hoffnung erfüllt?
Die
heutige Entwicklung der sexuellen Handlungen
entlarvt diese Hoffnung als reine Illusion.
Weil "keine Strafe ohne Gesetz" gilt,
wird von den Tätern der sexuelle Übergriff
auf eigene und fremde Tiere als "erlaubte
Handlung" gedeutet und vollzogen. Die Rechtssicherheit
des Tierhalters, der sein Tier vor sexuellen
Handlungen in der Regel geschützt wissen
möchte und auf eine strafrechtliche Verfolgung
auch ohne erhebliche Verletzungen vertraut,
wird angesichts der jetzigen gesetzlichen Regelung
bitter enttäuscht.
Hat
die Reform des Tierschutzgesetzes von 1998 etwas
bewirkt?
Erst
das heutige Tierschutzgesetz, die Änderung
des Status des Tieres im BGB "Tiere sind
keine Sachen" sowie der Verfassungsrang
des Tierschutzes könnten ermöglichen,
den sexuellen Missbrauch ohne nachweisbare Verletzungen
des Tieres als tierschutzrelevant zu erfassen.
Wie
wird im europäischen Ausland verfahren?
In
Europa wird der sexuelle Übergriff auf Tiere, konkret der
Geschlechtsverkehr mit Tieren, nur in Großbritannien
strafrechtlich verfolgt.
Allerdings
laufen zur Zeit sowohl in Schweden,
den Niederlanden,
Österreich als
auch der Schweiz politisch
gestützte Initiativen zur Aufnahme eines
ausdrücklichen Verbots sexueller Handlungen
mit Tieren.
Ist
denn die Sodomie in der Bundesrepublik stark verbreitet?
Exakte
Zahlen über das Ausmaß der betroffenen
Tiere oder eine Zahl der Täter beziehungsweise
der Täterinnen liegen nicht vor. Dies erklärt
sich einerseits durch die hochgradige Tabuisierung
des Themas innerhalb der Gesellschaft, die eine
quantitative Erfassung behindert, andererseits
können aufgrund der veränderten Rechtslage
offiziell nur noch amtlich bekannt gewordene
Fälle zahlenmäßig erfasst werden,
also solche Fälle, bei denen das Tier nachweislich
erhebliche Schmerzen oder Leiden erlitten hat
oder getötet wurde und eine Verurteilung
nach Paragraf 17 Tierschutzgesetz erfolgte.
Da nicht jeder sexuelle Übergriff diesen
Tatbestandsmerkmalen genügt, lassen die
amtlich bekannt gewordenen Fälle keine
Rückschlüsse auf das tatsächliche
zahlenmäßige Vorkommen zu. Eine britische
Studie im Bereich der Kleintierpraxen belegt
jedoch, dass heute bereits sechs Prozent der
allein durch Tierärzte gemeldeten Fälle
sich auf sexuelle Missbrauchshandlungen an Hund
und Katze beziehen.
Diese
Zahlen müssen allerdings vor dem Hintergrund
der für alle Missbrauchsdelikte typisch
hohen Dunkelziffer betrachtet werden. Trotz
dieser Schwierigkeiten bei der zahlenmäßigen
Erfassung wird in einer Studie von 2002 angenommen,
dass zirka fünf Prozent der Männer
sexuelle Kontakte mit Tieren haben. Obgleich
die tierpornografischen Darstellungen das Gegenteil
vermuten lassen, ist der Anteil der Frauen geringer.
Vorwiegend ist also von einem männlichen
Täterkreis auszugehen.
Wie
schwer wiegt da der Anteil des Internets?
Das
Internet als neues Kommunikationsmedium ermöglicht
heutzutage nicht nur die Verbreitung der Tierpornografie
und dient als Kontaktbörse für die
Vermittlung von Tieren für sexuelle Praktiken,
sondern fördert die sexuellen Übergriffe
auf Tiere durch einschlägige Websites.
Wie eine amerikanische Studie bestätigt,
muss beim sexuellen Missbrauch von Tieren von
einer neuen "Szene" beziehungsweise
einer neuen Subkultur gesprochen werden, die
in den nächsten Jahren weiter wachsen wird.
Was konkret bedeutet, dass mit einer ebenfalls
wachsenden Zahl von Tieren, die als Objekte
zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse
instrumentalisiert werden, zu rechnen ist.
Welche
Tiere sind am häufigsten von Missbrauch betroffen?
Entgegen
veralteter Vorstellungen, die oftmals den vereinsamten
Schafhirten anekdotenhaft in Szene setzen, zeigen
neue Studien, dass Rüden zum begehrtesten
Sexualobjekt geworden sind, gefolgt von Stuten,
Hündinnen und Hengsten/Wallachen. Die Bedeutung
des klassischen Nutztieres wie Kuh, Schaf, Ziege
und Schwein ist nur noch gering.
Bei
rund 75 Prozent der sexuellen Übergriffe sind fremde Tiere
betroffen. Wie erkennt ein Tierarzt oder ein Tierhalter, ob sein
Hund, seine Stute missbraucht worden ist?
Diagnostische
Möglichkeiten seitens der Tierärzte
stehen zur Zeit nicht zur Verfügung, sondern
müssten im Rahmen umfangreicher Forschungsprojekte
dringend entwickelt werden. Der sexuelle Übergriff
ohne klinischen Befund wird unter Umständen
durch den Täter oder die Täterin selbst
offenbart oder durch die Tierhalter direkt beobachtet.
Die Verdachtsmomente für Tierhalter können
sich in unterschiedlicher Weise zeigen. Offensichtlich
sind Verhaltensänderungen des Hundes oder
Pferdes, die etwa auf eine Berührungsempfindlichkeit
der hinteren Köperregionen hinweisen, aber
auch ein verstärktes sexuell-orientiertes
Verhalten des Tieres gegenüber anderen
Personen.
Diese sexuelle Fehlprägung des Tieres zeigt
sich nachhaltig bei regelmäßig vollzogenen
Übergriffen, falls durch die Täter
keine Konditionierung auf bestimmte Reize im Vorfeld
erfolgte.
Nehmen
Tiere durch Missbrauch psychischen Schaden?
Zur
Zeit liegen bedauerlicherweise keine wissenschaftlichen
Untersuchungen vor. Grundsätzlich ist eine
Schadensmessung im engeren Sinne denkbar, wird
aber durch die Tatsache, dass das betroffene
Tier sich nicht sprachlich äußern
kann, erheblich eingeschränkt.
Wie
kann man missbrauchten Tieren helfen, wie kann
man sie besser vor Missbrauch schützen?
Der
beste Schutz für das Tier sind - abgesehen
vom tierschutzrechtlichen Verbot sexueller Handlungen
- selbstverständlich zusätzliche Präventivmaßnahmen.
Dazu
gehört unmittelbar die Wahrnehmung des
sexuellen Missbrauchs als möglicher Übergriff
auf das eigene Tier. Insbesondere penetrative
Akte bedeuten für jedes Tier ein nicht
zu unterschätzendes Verletzungsrisiko.
Kleinste Verletzungen, bakterielle Infektionen,
allergische Reaktionen auf Sperma, Gleitmittel
oder Kondome können ein tödliches
Risiko darstellen.
Oftmals
erfolgen die Übergriffe auch durch bekannte Personen aus
dem engeren Umkreis der Tierhalter. Hier ist besondere Vorsicht
geboten. In Partnerschaftsbeziehungen bemühen sich die Täter
häufig um die Akzeptanz des Übergriffs durch den Partner
beziehungsweise sie versuchen, die Toleranz im Vorfeld durch unterschiedliche
Strategien auszutesten.
Um
der zunehmenden Entwicklung des Tieres als Sexualobjekt
und dem damit verbundenen Verletzungsrisiko
wirksam zu begegnen, wäre neben der notwendigen
Aufklärung durch sachdienliche Information
ein gesetzliches Verbot der sexuellen Handlungen
erforderlich.
Verschwiegenes Tierleid
BAD
CANNSTATT. Text: tagblatt Redaktion: Manfred
Hantke
Linktipp:
Verschwiegenes Tierleid - Seite gegen sexuellen Missbrauch an
Tieren
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